Israel kurz vor einem großen Krieg?


Ulrich J. Becker, Jerusalem, 28. Aw 5771
Vor dem Schabbat redetet ich mit einer Freundin aus Deutschland ueber ihren eventuellen Besuch hier in unserem heiligen Land und – nachdem ich mitbekommen hatte, dass der letzte grosse Terroranschlag im Sinai, der uns hier alle beschaeftigte, ihr unbekannt war – sagte ich zum Schluss nur kurz halb im Scherz, dass unsere Planungen toll sind, wir hier aber gerade hoffen, dass wir naechste Woche keinen Krieg haben.
Wie knapp es wirklich war, hatte ich mir dann vielleicht doch nicht gedacht:
Ich hatte hier ab Freitag den 19.08. bis Sonntag den 21. 08. vermutet, dass die so gut wie abwesende Reaktion Israels und die ungewohnt heftige Rhetorik von Netanjahu und anderen Ministern ein ziemlich sicheres Anzeichen dafuer waeren, dass Israel nicht mit kleineren Gegenschlaegen, sondern mit einer grossangelegten Operation, antworten wird, zu der gerade die Vorbereitungen liefen.
Tatsaechlich wird jetzt berichtet, dass noch am Schabbat den 20.08. in der Armee fieberhaft auf die ‘Stunde Null’ eines umfangreichen Schubladenplans names “Operation Sued” hingearbeitet wurde. Aber fangen wir die Ablaeufe doch nochmal von vorne an… 

Den ungefaehren Ablauf der Terroranschlaege im Sinai hatte ich hier bereits versucht dazulegen, so komplex es auch ist, und sicherlich immernoch Details fehlen oder unbekannt sind und ab und zu wieder etwas Neues berichtet wird.
So starb z.B. der israelische Golanioffizier Mosche Naftali, wie jetzt berichtet wurde, nicht durch eine Sprengfalle, einen feindlichen Selbstmordbomber oder eventuell feindliche Schuesse, sondern durch ein “Takrit Dutz”, wie wir sagen, oder auf gut Englisch ‘friendly fire’ unserer eigenen Soldaten. Wie der Kampf genau ablief, wurde bis jetzt nicht berichtet, nur dass Mosche Naftali der Befehlshaber des ersten Hummers war, der auf die Terroristen traf, sie einen Terroristen frontal ueberfuehren und er offenbar (Selbstmordguertel) unter ihnen explodierte, aber keinen weiteren Schaden anrichtete. Dann fuhren sie durch feindliches Feuer von mehren Seiten und hielten einen PKW auf, der sonst ins Feuer gefahren waere, um gleich wieder zu wenden und in den Kampf zu fahren. Nachdem eine Handgranate neben ihnen explodiert war, sprangen sie alle raus und kaempften. Und wohl in dem allgemeinen “Chaos und Durcheinander” das folgte, wurde er von einer israelischen Kugel toedlich getroffen. So verstehe ich wenigstens die spaehrlichen Pressemeldungen ueber seinen Tod, um nicht eine schlimmere Variante auszusprechen, denn ueberall wird betont, dass diese Einheit grosses geleistet hat, indem sie naemlich eine fast sichere Geiselnahme von israelischen Soldaten oder Zivilisten abwendete. Sein Vater teilte jedenfalls mit, dass ihm der israelische Soldat Leid tue, der seinen Sohn erschossen hat.
Wohl die gleichen Soldaten wurden auch zitiert, bei allem Frust und Schmerz ueber den Anschlag und die vielen israelischen Toten, man sich dort ganz sicher ist, dass man viel Schlimmeres verhindet hat und wir uns heute z.B. an einem ganz anderen Punkt befinden wuerden, haetten die Terroristen ihren Plan, einen israelische Soldaten zu entfuehren, ausfuehren koennen. Damit haben sie wohl sehr recht.

Sie berichten, dass die ersten Soldaten ihrer Einheit (wohl der Hummer von Mosche Naftali) innerhalb von drei Minuten(!) nach Beginn des Angriffs Kontakt mit dem Feind aufgenommen hatten und sofort die Terroristen angriffen und sich ihnen schnell unter Feuer naehrten. Nach ca. fuenf Minuten war dieser erste Kampf vorbei und vier Terroristen tot und, wie gesagt, Mosche tragisch durch Beschuss von unserer Seite getoetet – ich weiss bis heute nicht, ob es furchtbarer ist vom Feind oder von den  eigenen Kameraden getoetet zu werden…

So jedenfalls gingen die Kaempfe und Entwicklungen an der Grenze weiter, waehrend zur gleichen Zeit 180 km noerdlich vom Anschlag, im ‘Fluechtlingscamp’ Al-Schabura in Rafiach, ein baertiger Islamist eine kleine Tasche mit etwas Kleidung und dem Noetigsten packt um fuer eine Zeit ‘zu verreisen’. Er sagte seiner Frau nur, dass “heute viel Blut vergossen werden wird” und dass er untertauchen muesse. Er verliess sein Haus in Richtung eines anderen Hauses in Rafiach, wo ein geheimes Treffen mit ihm geplant war.

Dieser Mann war Kamal a-Neirab, der Anfuehrer des sogenannten ‘Volkswiderstandskomittee‘ oder Public Resistance Comittee – kurz PRC, der Israel die Hauptverantwortung an dem Anschlag im Sinai gibt.

Die ‘schwaerze PRC’ – Eine Mischung aus radikalen, islamistischen Aussteigern aus Fatach und Hamas

Die PRC ist eine sehr junge ‘palaestinensische’ Terrorgruppe, die erst im September 2000 vom ehemaligen Fatachterroristen Dschamal Abu Samhadhana gegruendet wurde.

Notorischer PRC-Gruender Dschamal Abu Samhadhana

Sie bestand anfangs hauptsaechlich aus Fatachleuten, die Israel staerker und offener bekaempfen wollten, als ihre Kollegen, und spaeter kamen auch noch Hamas, ‘islamischer Dischhad’ und andere Terroristen hinzu, denen ihre jeweiligen existierenden Gruppen ‘zu lasch’ waren oder in denen sie sich anderweitig verzankt hatten. Im Juni 2006 wird Dschamal Abu Samhadhana von Israel gezielt getoetet, waehrend er mit den Vorbereitungen fuer einen grossen Anschlag beschaeftigt war – was sich dann zwei Wochen spaeter als der Ueberfall auf den Stuetzpunkt bei Kerem Schalom und die Geiselnahme Gilad Schalits rausstellen sollte. 
Zu weiteren groesseren Anschlaegen (unter vielen) dieser brutalen Organisation, von der wir eher selten hoehren, zaehlen der Anschlag auf den Schulbus bei Kfar Darum im Jahre 2000 (zwei ermordete Kinder), die Sprengung eines Merkava-Panzers in 2002 (drei tote Soldaten), Schussattentat bei Zir Kissufim 2004 in dem die schwangere Tali Chatuel und ihre vier Toechter ermordet wurden, sowie der Anschlag auf den amerikanischen Diplomatenkovoi im Gasastreifen in 2003…
Aber sie blieben in der Oeffentlichkeit trotz dieser blutruenstigen, professionellen Terroranschlaege recht unbekannt gegenueber der groesseren Hamas und des ‘islamischen Dschihad’. Israel verfolgte die Aktivitaeten der Gruppen offenbar sehr aus der Naehe…


Gegen 18:00 Uhr erreicht a-Neiraw mit seinem Handy telefonierend ein zweistoeckiges Haus in dessen Innenhof er schon erwartet wird. Es ist dort die Spitze der PRC versammelt um ueber den Anschlag und weiteres zu beratschlagen: Chaled Schaat ist der Hauseigentuemer und militaerischen Anfuehrers der PRC im suedlichen Gasastreifen. Er hat zu dem Terrortreffen auch seinen dreijaehrigen Sohn Malek mitgebracht. Dann ist da Im’ad Chamad – der generelle Anfuehrer des bewaffneten Arms der PRC names “Saladin Bridgaden“. Im’ad Nasser und Chaled Al-Massri sind zwei weitere hohe Terrorkader der streng hierarchisch geordneten Organisation. 
Und noch waehrend sich die Terrorrunde begruesst und sich wohl ueber die gelungene Terroraktion gegen El-Jahud (‘den Juden’) beglueckwuenschen, welche erst vor einigen Stunden zu Ende ging bzw. noch anhaelt, und planen, wie weiter, hoert man kurz ein Pfeiffen in der Luft und zwei zielgenaue israelische Raketen schlagen zeitgleich, einen Meter von einander entfernt, neben ihnen ein. Alle sind sofort tot…


Benjamin Netanjahu gibt mit kalter Miene in der wenig spaeter folgenden Pressekonferenz an, dass diejenigen, die den Anschlag planten, bereits nicht mehr unter den Lebenden sind. Nach einer weiteren gezielten Toetung  am Mittwoch den 23. 08. stellte sich heraus, dass da eventuell doch noch mehr Akteure involviert waren als ‘nur die PRC’, denn der hier gezielt getoetete Oberkommandeur des suedlichen Gasastreifens des ‘islamischen Dschihads‘ soll ebenfalls in den Anschlag verwickelt gewesen sein, und zwar vor allem in die Finanzierung und Planung…
Sprich, es sieht auch hier nicht wirklich danach aus, als solle man die Spielchen der Terrorgruppen im Gasastreifen glauben, wonach die PRC selbststaendig und ohne Wissen der anderen einen strategischen, schweren Terroranschlag gegen Israel beging (und die PRC ist sogar so frech, selbst die Verantwortung abzustreifen). Es ist eine alte Hamastaktik: Seitdem Israel sie fuer Raketenbeschuss und Terror aus dem Gasastreifen grundsaetzlich verantwortlich machen will, betreibt die Hamas – zumindest vom Label her – modernes ‘Terroroutsourcing’ und laesst kleinere und ‘unbekannte’ Terrorgruppen die Anschlaege unternehmen, um dann danach so zu tun, als sei sie selbst ueberrschat und hintergangen worden und werde sicherlich sofort etwas unternehmen, um das zu stoppen. Erst heute konnte man wieder einen neuen solchen ‘Subunternehmer’, der sich ‘Al-Tauwied Wal-Dschihad‘ nennt, kennenlernen, der eineGradrakete auf Beer Schewa abschoss.
Und Israel muss bei Gegenangriffen dann der Welt erklaeren, warum es die Hamas denn angreift, wenn es doch die Gruppe X war. ‘Wolle man etwa so unverantwortlich und ungerecht eskalieren? Und ueberhaupt versteht Israel wohl nichts von dem Gruppenspektakel im Gasastreifen…’
Wenn das Geld fuer die Operation vom islamischen Dschihad kam, der bekanntermassen am direktesten aus Tehran gesteuert wird, kann man davon ausgehen, dass der Angriff insgesamt ein iranischer Auftrag war – vielleicht mit Hisb’Allah-Beratung und Unterstuetzung – und von den oertlichen Subunternehmern uebernommen wurde, um die Antwort gering zu halten.


Ein grosser Krieg um ein Haar
 Das funktionierte aber nur teilweise, denn nach dem Anschlag (der fast eine Entfuehrung gewesen waere, die uns unweigerlich in einen tiefen Konflikt gezogen haette) und dem zunehmenden schweren Raketenbeschuss aus Gasa, entschied sich Israel nicht nur die PRC entscheidend zu treffen und dessen Fuehrung gezielt zu toeten (wie gesagt, tragisch, dass wir das nicht VOR dem Anschlag bei Eilat taten, wenn wir so gute Informationen ueber sie hatten), und die Hamas in Ruhe zu lassen, sondern begann mit den Vorbereitungen fuer einen grossangelegten Abwehrkrieg im Gasastreifen…
Am Sonntag den 21.08.2011 soll Ehud Barak in sein Buero gekommen sein und ueber den Plaenen eines “dicken Buches” mit namenOperation Sued gesessen haben, das nur seine Zustimmung brauchte. Der Plan fuer einen eventuellen Krieg im Sueden beinhaltet eine bessere Kooperation, als bisher, zwischen verschiedenen Stellen in der Armee und zivilen Verwaltung als in der Vergangenheit. So musste der ‘Heimatschutz’ bereit sein, ueber eine Million bis vier Millionen Israelis zum richtigen Zeitpunkt fuer eine fortgesetzte Zeitspanne vernuenftig und gut versorgt in die Bunker zu bringen, waehrend die militaerische Aktion losgehen wuerde.
Hier sei geplant gewesen auf einmal sehr viele Ziele, sehr hart zu treffen und wohl auch die gesamte Terrorfuehrung im Gasastreifen, und fast die gesamte regulaere israelische Armee waere im Einsatz gewesen und zu kleinen Teilen wurden bereits  Reservisten in dieser fruehen Planungsphase einberufen. Man haette also auch eine grosse Bodenoperation angelaufen und fuer weitere Eventualitaeten an unseren Grenzen bereit gestanden. Die Heftigkeit und Ziele der Luftschlaege haetten die Terrororganisationen im Gasastreifen dazu veranlasst sofort “auf den Jack Pott” zu gehen, da sie ansonsten ein schnelles Zerstoren ihrer Faehigkeiten, Waffen und Maenner befuerchten mussten und Israel so massiv wie moeglich und so empfindlich wie moeglich zu beschiessen und zwar auch die Tel Aviver Region. Bereits am Donnerstag den 18.08. 20011 direkt nach dem Anschlag soll man damit begonnen haben ueber eine grossangelegte Aktion nachzudenken.
Und die PRC, die auf einen Schlag ihre hoechsten Fuehrer verloren hatte, die seit Jahren in ihren Posten waren, konterte ueberraschend schnell – wohl durch die klare, hierarchische Ordnung und beschoss Israel in den folgenden Tagen mit ueber 100 z.T. toedlichen Raketensalven. Weitere 50 Raketen steuerte der ‘islamische Dschihad‘ bei. Alles stand auf Krieg.
Und die israelische Armee soll schon sehr direkt darauf hingearbeitet haben. Die Luftwaffe hatte ihre Jets einsatzbereit und machte letzte Vorbereitungen. Die Soldaten des Zentralkommandos sollen Tage und Naechte ueber das Wochenende fieberhaft in den Kommandozentren gearbeitet haben und alles die Stimmung wie am Abend eines Krieges gehabt haben. Der Schabak (Inlandsgeheimdienst) hatte dem 8-Minister-Treffen trotz diplomatischer und internationaler Konsequenzen eine grosse militaerische Operation empfohlen.
Man hatte sogar bereits einen Coundown mit der ‘Stunde Null’ des grossen Angriffs gesetzt. Keine 24h vor der ‘Stunde Null’ (Sonntag oder Montag – 21.-22.08.) stoppten uns die Worte ‘unseres Freunds’ Obama und wohl recht heftige Drohungen und Erpressungen aus Aegypten, wie, dass sie im Falle einer grossen Operatation kaum fuer unsere Botschaft garantieren koennten, (beide hatten wohl durch unsere gruendlichen Kriegsvorbereitungen genuegend Zeit den Selbstlauf der Dinge zu bremsen) und bewegte uns ‘sanft’ dazu, den Angriff abzublasen und die Raketen aus Gasa halt einzustecken…
Positiv ist hier zu verzeichnen, dass es wohl anscheinend doch die Hamas war, die hier bei den entschlossenen israelischen Kriegsvorbereitungen einen Rueckzieher militaerischen Rueckzieher machte, abtauchte und sich zumindest nicht ernsthaft in den Kampf schmiss und angeblich dazu beitrug, die anderen Gruppen zu einem Pseudowaffenstillstand zu bringen, der staendig durch die taegliche Rakete bebrochen wird – sie wissen haargenau, wie sie uns an der Schmerzgrenze weiter terrorisieren koennen ohne einen offenen Krieg oder groessere Operation zu riskieren. Es ist uebrigens auch moeglich, dass die Hamas einfach nur versuchte, die Dinge zu beruhigen, damit der anti-israelische Angriff vor der UNO im September ungestoert ueber die Buehne gehen kann, wo wir also wieder eine Gelegenheit verpasst haben, ihre Plaene zu durchkreuzen.
Negativ ist natuerlich auch, dass bei aller Weisheit, abgewendetem blutruenstigen Krieg, Abducken der Hamas etc., unsere langen Vorbereitungen auf den grossen Gegenschlag, kleine Gegenschlaege ausliessen, und die Abschussteams so oft wie selten wieder lebend von ihrem Terrorbeschuss nach Hause kamen (Israel ist normalerweise in der Lage sie kurz vor, innerhalb und kurz nach dem Raketenbeschuss gezielt zu toeten.)
Und was das zu Folge bei unseren Feinden und gewuenschten Vernichtern hat, kann man am besten in der Hamaszeitung ‘Filistin’ nachlesen:

“Die innepolitische Situation in Israel und die Entwicklungen in den arabischen Laendern [arabischer 'Fruehling']. sind der Grund dafuer, dass Israel einen Waffenstillstand erbat, waehrend die palaestinensischen Gruppen ununterbrochen zig Raketen auf sie abfeuerten. [...] Es ist die Makau’ama [bewaffneter Terrorkampf gegen Israel, wie von der Hisb'Allah forciert], die Israel dazu zwang, sich zurueckzuziehen und einen Waffenstillstand zu erbitten.” 

Wenn sie das so interpretieren (und darin, dass Aegypten versucht, uns die Haende hinter dem Rueck zusammenzuhalten, waehrend sie uns beschiessen, haben sie Recht), sollte es eigentlich eher verwundern, dass sie uns nicht mehr und heftiger angreifen, als sie es ohnehin schon tun…